Ich weiß noch genau, wie ich als Teenager großen Respekt vor der „großen Dreißig“ hatte und sie auf mich wie … eine Mauer wirkte. Auf der einen Seite der Mauer lag in meiner Gedankenwelt das unbeschwerte, lustige, schöne, spaßige Leben, auf der anderen Seite war alles grau, denn die Menschen über 30 sind „alt“ und gehen ab diesem Punkt praktisch auf’s Ende zu. Mit jedem steigenden Lebensjahr wurde die Mauer immer kleiner und kleiner jetzt, wo ich direkt davor stehen sollte, ist sie gar nicht mehr da – und vor mir liegt eine wunderschöne, bunte Blumenwiese. Das Grau aus meinen Vorstellungen ist nicht mehr da. Doch was sehe ich, wenn ich zurück blicke? Habe ich meine Pre-Dreißiger gelebt, wie ich wollte? Bin ich bereit für das große Kapitel jenseits der 30? Und vor allem: Bin ich wirklich glücklich, da, wo ich jetzt bin?
Zuallererst bin ich vor allem froh, dass ich überhaupt noch hier bin und die 30 erleben darf. Denn so, wie ich gelebt habe, haben zwischendurch viele und auch ich gedacht, dass ich mir über meinen dreißigsten Geburtstag eh keine Gedanken machen muss. Ich habe den größten Brücken-Bungee Sprung der Welt gemacht, an meinem Junggesellenabschied einen Fallschirmsprung, bin mit Haien getaucht, war auf einem Deichkind-Konzert (auch bei der Kelly Family, was rückblickend auch echt heftig war), bin kurz nach dem 11. September im Fahrstuhl des Empire State Buildings steckengeblieben, hab ein Krokodil und mehrere Elefanten gestreichelt und hatte schon 3 Mal ne Würgeschlange um den Hals, ich wurde in China bewusst von einem Auto angefahren (lange Story), habe mich als Teenager mit Jungs geprügelt, hab mir einen langen Nagel in den Kopf gerammt, mich mit zwielichtigen Leuten abgebenen, bin in Kapstadt immer nachts alleine vom Club nach Hause gelaufen, obwohl an meinem ersten Abend ein Raubüberfall vor meiner Haustür stattgefunden hat, dachte einmal, wir würden wegen heftigsten Turbulenzen ever mit dem Flugzeig abstürzen und da hatte ich schon Abschieds-SMS vorbereitet, war oft unverschuldet sehr krank und habe meine Gesundheit noch öfter selbstverschuldet auf’s Spiel gesetzt.
Ich mein… geil! Ich bin 30!
Jep, ich schätze mich glücklich, diesen Geburtstag feiern zu können. Als eine Frau, die weder berühmt noch reich, weder besonders schön noch besonders klug, furchtbar chaotisch, vergesslich und trottelig, dafür aber verdammt happy ist. Hätte mich jemand vor 10 Jahren gefragt, wo ich mich in 10 Jahren sehe… hätte ich vermutlich gesagt: „irgendwo auf der Welt, mit coolen Leuten, einem coolen Job und einem coolen Körper“. Irgendwo auf der Welt bin ich tatsächlich, hab einen coolen Mann und nen coolen Sohn, dank ihm einen coolen Fultime-Mamajob und der Körper ist cool, weil er ein Riesenbaby ausgetragen hat ohne ein Schlachtfeld zu hinterlassen… Moment mal, bin ich etwa Hellseherin? Ich bin doch tatsächlich da, wo ich mich damals gesehen habe …
… und doch ganz woanders. An einem Ort, den ich gegen keinen anderen auf der Welt tauschen würde. Nein, ich meine nicht Edinburgh, denn jede Stadt ist für mich austauschbar. Mit Ort meine ich meine Familie, mein Happy Place. Unser kleines Universum, in dem wir 3 mal mehr mal weniger harmonisch unsere Bahnen ziehen und oft die Galaxien um uns herum ausblenden. Außer Sichtweise sind schon längst lange, wilde Partys, ausgiebige Shoppingtouren, Restaurantbesuche, bei denen wir am Ende zu tief ins Weinglas gucken oder die Nächte, in denen wir stundenlang unsere Lieblingsserien gucken. Ich versuche aber auch gar nicht mehr, diese Dinge zu erblicken, ich will genau das, was unmittelbar vor meiner Nase ist.
Ja, ich bin mit 30 auf irgendeine Art und Weise angekommen – und doch dauerhaft auf Reisen. Denn wenn ich glaubte, mit 30 alles zu haben und alles zu sein, was ich wollte…. würde ich wohl dumm sterben. Und wer will das schon. Nein, ich will mehr – mehr sehen, mehr lernen, mehr erleben, mehr können, mehr wissen. Auch über mich. Wenn es sein muss, mich immer wieder neu entdecken, Dinge ändern, die ich nicht mag. Dass ich schlecht entspannen und abschalten kann zum Beispiel. Dass ich so furchtbar nachlässig und chaotisch bin und alles kaputt mache. Oder dass ich mich einigel, wenn es mir nicht gut geht, anstatt mich in die Arme meines wundervollen Mannes zu schmeißen. Ja, ich möchte noch einiges ändern.
Altern macht schön
Und darauf freue ich mich! Jenseits der Dreißig. Bisher stieg meine Happiness-Kurve mit jedem Jahr stetig nach oben und wenn das so weiter geht… Hell yeah! Ja, Falten sind scheiße und sehen nur an männlichen Hollywoodstars sexy aus, und auch die Schwerkraft könnte ihre Finger vom Bindegewebe lassen, aber abgesehen davon bin ich mir sicher, dass wir alle mit dem Alter schöner werden. Weil weiser. Erfahrener. Noch viel mehr durch eigene Kinder.
Seit Lias da ist, ist alles nur noch besser, bunter, kontrastreicher, sinnvoller. Auf die Gefahr, dass ich ins Phrasenschwein einzahlen muss: die Welt mit Kinderaugen zu sehen ist unbezahlbar! Und zu wissen, dass das eigene Kind die Welt ebenfalls mit seinen eigenen gesunden Augen sehen und dem gesunden Körper erkunden kann, ist das größte Glück überhaupt. Mehr hätte ich mir zum 30. echt nicht wünschen können, obwohl doch alles ganz anders kam, als ich es mir ausgemalt hatte. Denn in meiner Zukunftsskizze war ich nicht nur an irgend einem coolen Ort irgendwo auf der Welt, sondern auch eine erfolgreiche Karrierefrau, nicht verheiratet und ganz sicher auch nicht Mutter. Ob es mich frustriert, dass ich nun mit Kind zuhause sitze? Ganz ehrlich? Manchmal ja, manchmal wünschte ich mir meinen Büro-Job zurück oder was ganz anderes, Aufregendes, aber nur, um im nächsten Augenblick erleichtert zu denken: Oh, neee. Genau das, genau hier, genau jetzt. Es kommt noch früh genug alles ganz anders. Wie immer.
Die 30 ist für mich mittlerweile also nur noch irgendeine Zahl auf der Lebensskala von 0 – (sagen wir…) 92 (wenn alles gut geht, eine meiner Uromis wurde sogar 106), und doch habe ich das Bedürfnis, diese kleine Inventur zu machen und mir das Erlebte Schwarz auf Weiß vorzulegen. Sentimentalität, Nostalgie, Narzismus, Sadismus… whatever. Ich schaue gern zurück, weil ich glaube, dass uns die Verarbeitung des eigenen Lebens stärkt und wachsen lässt. „Never look back“ halte ich deshalb für den größten Quatsch, denn wie soll man da aus den eigenen Fehlern lernen?
Mein Weg, mit Fehlern umzugehen, ist der, dass ich sie mir stets bewusst mache, aber sie nie bereue. Egal, welche Entscheidung ich in meinem Leben getroffen habe, ganz egal, wozu sie geführt hat – ICH BEREUE KEINE DAVON (ja auch nicht meinen ersten Twingo, dessen Reparaturkosten seinen Beschaffungspreis um das Zehnfache überstiegen, aber hey, ER WAR PINK!! … und auch nicht mein erstes Tribal-Tattoo, covern lassen hab ich’s trotzdem…). Jede dieser Entscheidungen hat meinen Lebensweg gepflastert und auch, wenn ich dabei mehrfach gestolpert bin, bin ich am Ende an einem schönen Ort angekommen. Deshalb glaube ich fest daran, dass nichts ohne Grund passiert, dass alles einen Sinn hat, also auch jeder Fehler, jeder Mittelfinger, jeder Schickssalsschlag.
Und davon hatte ich leider sehr viele. Die schlimmsten davon waren natürlich die, bei denen ich geliebte Menschen verlor. Und neben der emotionalen Trauer habe ich mir immer wieder rational vor Augen geführt, dass manchmal schlimme Dinge passieren müssen, damit das eigene Leben weitergeht, und ich habe mich jedes Mal daran erinnert, dass der Tod einfach unberechenbar ist und selbst mich von Jetzt auf Gleich heimsuchen kann. Wir alle sterben, die einen früher, die anderen später. Banal, aber nun mal wahr.
THINK POSITIVE – sterben wirst du eh!
Vielleicht ist das die Antwort auf die Frage, die mir sehr oft gestellt wird, woraus ich meine Lebensfreude, Energie und meine positive Einstellung zu den Dingen schöpfen würde. Nun ja, ich bin zwar schon immer ein viel lachender Mensch gewesen, aber auch einer mit einer dunklen Seite, die ich selten zeigte. Ich hatte in der Jugend große Probleme mich mit mir und meinem Umfeld abzufinden, war in Sackgassen, hatte Depressionen und war von mir selbst und anderen nicht zu bändigen. Ich suchte immer nur nach Extremen, Risiken, Adrenalin, die mich spüren ließen, dass ich wirklich existent bin. Und genau DAS heute immer noch zu wissen, darüber nachzudenken, darüber zu sprechen PLUS die bewusste Verarbeitung der Schickssalsschläge, allen voran dem Verlust vieler geliebter Menschen, ließen mich zu diesem fröhlichen und positiven Menschen heranwachsen, der ich heute bin. Natürlich habe ich auch hin und wieder schlechte Tage, aber gleichzeitig das Vermögen, auch an diesen nicht den Blick für’s Wesentliche zu verlieren: Das Glück, am Leben zu sein, in Begleitung einer wunderbaren Familie, die ebenfalls gesund ist. Und dass ich genau das, genau in diesem Moment schätzen und genießen muss, denn es kann so schnell vorbei sein…
Also stehe ich jeden Morgen auf und bin voller Tatendrang und voller Lust auf alles, was kommt. Klar hab ich da auch mal schlechte Laune und klar mach ich auch mal nullkommanix, aber ich versuche zumindest alles mit Lockerheit und Humor zu nehmen, und glaubt mir, mit einem hyperaktiven Satansbraten von 10 Monaten ist das Goldwert! Meine turbulenten 30 Jahre haben mich sehr belastbar gemacht und nichts bringt mich so schnell ins Torkeln, weshalb ich für wieder einmal für alle schlechten Erfahrungen dankbar sein kann.
Ein weiterer Vorteil der „schwierigen Vergangenheit“ ist auch, dass ich angstfrei lebe. Ich habe keine Angst vor der Zukunft, vor Herausforderungen, vor Veränderungen, vor Hindernissen, vor den schlechten Tagen, und in diesem Fall auch kein Stück vor der 30 – denn ich habe bisher alles irgendwie gemeistert, und so kompliziert es zwischendurch auch mal war: am Ende war immer alles gut. Kann also kommen was will, ich bin gewappnet und kampflustig und außerdem habe ich zwei tolle Männer in meiner Mannschaft.
Klingt alles wie ne Lobeshymne auf mich selbst. Ist gar nicht so. Es gibt auch sehr viele Dinge, auf die ich in meinen Pre-30-gern absolut gar nicht stolz bin. Ich habe einige Menschen verletzt. Ich habe manchmal gelogen. Ich war auch mal feige. Manipulativ. Berechnend. Dumm. Ich habe schlecht über andere Menschen geredet und habe mich ins bessere Licht gerückt. Ich habe Dinge zu Menschen gesagt, die mir bis heute leid tun, für die ich mich aber mittlerweile entschuldigt habe. Es gab wirklich Zeiten, in denen ich ein ekelhafter, hässlicher Mensch war, weil ich anders sein, anderes besitzen und anderes tun wollte, als es in der Realität tatsächlich aussah. Seitdem ich mich und mein Leben aber nicht nur akzeptiere, sondern auch liebe, bin ich „aufgeräumt“ und meistens ganz nett – hoffentlich… 🙂
Ab heute bin ich also stolze 30 und wenn mir vor einigen Jahren jemand gesagt hätte, dass ich diesen besonderen Tag mit Baby und Mann in einem Safari Park verbringe und um 18h zum Dinner und um 19h wieder nach Hause gehe, hätte ich gesagt: not. Heute muss ich echt darüber schmunzeln, denn ich verbringe diesen Geburtstag so, wie es vielleicht ein Kind gern täte, mit wilden Tieren, Ballons, Kuchen, Eiscreme, Pommes, auf Spielplätzen mit der Familie. Ich mein… selbst wenn 30 „alt“ wäre, würde ich mich so nicht fühlen können, selbst, wenn ich wollte!
Das neue Lebensjahr wird aufregend, vielleicht genauso aufregend, wie das letzte… Wir sind von Juli bis November viel unterwegs, sehen noch viele Freunde, die Schottland noch nicht gesehen haben und die dazu nicht mehr viele Chancen haben. Denn im Januar werden wir nach Deutschland zurückkehren, wohin genau, wissen wir noch nicht. Was ich schon weiß, ist, wie ich dann beruflich weitermachen will und ich habe mich für die Verknüpfung von Journalismus und Fitness entschieden, also das, was ich hobbymäßig schon seit vielen Jahren tue. Wie sich das nun konkret im Beruf entfalten wird, werdet ihr in meinem 30. Lebensjahr sehen und ich hoffe, ihr möchtet dann noch Teil dessen sein. Denn für und mit euch zu schreiben ist ganz klar eine der größten Bereicherungen meines letzten Lebensjahres. Danke dafür.
10 Kommentare
Wow, einfach nur wow!! Dein text hat mich zu Tränen gerührt ! Du bist soo toll ❤
Mich überkam Gänsehaut und ein kleines Tränchen bei den letzten Sätzen. Wundervoll geschrieben! Träume sind da um sie zu leben! Auch wenn sich diese mal ändern!! In diesem Sinne: mach was dich glücklich macht. Hier und Jetzt. Alles Liebe
Genau diese Gedanken erreichen mich auch so langsam. Ich bin zwar letztes Jahr 30 geworden, hatte dafür aber keine Zeit. Und somit denke ich genau so jetzt, kurz vor der 31 und ich kann dir nur zustimmen!! Ich liebe mein Alter!!
Schön geschrieben yavi…ich wünsche dir weiterhin viele tolle Jahre da draußen im verrückten irgendwo 🙂
Ein absolut toller Bericht!!!! Deine Artikel lesen sich einfach so toll. Diese Ehrlichkeit und der Humor den du überall hineinpackst gefällt mir total gut. Freue mich immer wieder auf deine Blogbeiträge und hoffe das du uns noch lange daran teilhaben lässt.
Auf ein neues Lebensjahr!!!! 🙂
LG aus Österreich
Happy Birthday!!! :-*
Liebe Yavi, auch hier alles liebe zum 30 . Geburtstag. Ein seht offener, ehrlicher und berührender Text. Ich hätte auch nichts anderes erwartet 😉 du bistoft eine Inspiration für mich. Ich wünsche dir für das kommende 31. Lebensjahr. Hihi. Weiterhin viel Humor, Leidenschaft für das was dich ausmacht, kraft und alles was du dir sonst selbst wünscht. Ich freue mich dich weiterhin begleiten zu dürfen! Weiter so. Schönen entspannten Geburtstag. Möge dich Sonne heute besonders stark für dich scheinen. Liege grüße von Anna aus dem schwülen Berlin
Liebe Yavi, vielen, vielen Dank für deine stets ehrlichen und tollen Worte. Du hast so ein wunderschönes Herz! – behalte Dir das bei + nur das Beste für Dein/Euer kommendes Lebensjahr!
WOW Yavi!!! Sooo ein toller Post! Du schreibst mir aus der Seele!! Viel mehr Menschen sollte diese Gabe gegeben sein, so einen positiv Blick aufs Leben zu haben, aber leider gibt es bei den meisten zu viele negative Gedanken…vielleicht rüttelt dein wundervoller Text einige von ihnen wach!
Ich wünsche dir alles alles Liebe zu deinem 30. Geburtstag! Behalte dir diese positive Einstellung!
Alles Liebe,
Verena
So toll geschrieben und so wahr! Ich liebe deinen Blog!