Das Jahr, nachdem mein Sohn starb (Gastbeitrag)

von mama moves

Erinnert ihr euch noch an den Gastbeitrag „2 wundervolle Jahre – und warum wir dankbar sein sollten“ von Mathilda (*Name geändert), den ich vor etwas mehr als einem Jahr veröffentlicht habe? Er hat uns allen gefühlt das Herz aus der Brust gerissen. Nicht nur uns Müttern.

Vor einiger Zeit kontaktierte mich die Mutter des kleinen Jungen, der so früh starb, und sagte, sie würde gern einen weiteren Beitrag schreiben. Nämlich darüber, wie sie das erste Jahr nach dem furchtbar tragischen Tod erlebt hatte. Ich sagte zu, ohne zu wissen, was sie zu erzählen hatte. Doch ich war mir sicher, dass sie etwas Wichtiges zu sagen habe. Und ich hoffte, es würde vielen anderen trauernden Eltern auch bei ihrem Schmerz helfen. Jetzt, nachdem ich ihren Beitrag gelesen habe, weiß ich es ganz genau. Mathilda, deine Stärke ist ansteckend. Danke für deinen Mut, anderen Menschen Mut zu machen. 

Das erste Jahr nach dem Tod meines Sohnes

Von Mathilda 

Ganz oft stelle ich mir die Frage: Bin ich alleine oder ist er noch da?

Ich mag vielleicht stark sein und mich wacker schlagen, doch auch ich bin nur ein Mensch und kann das, was ich erleben musste, nicht einfach in eine Schublade packen und zumachen. Und das möchte ich auch nicht. Jeder Tag, an dem ich weiter kämpfe, ist voller Erinnerungen. Egal ob ich Zuhause bin, im Auto, beim Einkaufen, beim Spazierengehen, ob ich Bilder schaue oder wenn ich andere Eltern mit Kindern sehe. 

An manchen Tagen überkommt es mich. Ich sitze da und weine. Die ersten Monate sagte meine Oma immer, das Leben hätte für sie keinen Sinn mehr, sie wolle einfach nur gehen. Durch Felix hatte sie wieder ein kleines Stück Lebensqualität geschenkt bekommen.

Als sechs Monate nach seinem Tod Weihnachten kam, fuhren meine Eltern und mein Bruder  in ein Hotel, mein Lebensgefährte zu seiner Familie. Doch ich beschloss, die Feiertage zuhause zu verbringen – allein.

Doch es war ok, ich konnte das erste mal einfach los lassen, musste nicht mehr stark sein für andere. Ich schnappte mir eine Flasche Wein, saß auf der Couch, zündete eine Kerze an, weinte und lachte. Trotz der großen Leere in mir. Denn gleichzeitig bin ich noch immer voller Erinnerungen und wundervoller Erfahrungen, die ich mit Felix machen durfte. 

Im April starb dann meine Oma. Sie sagte eine Woche zuvor zu mir: „Schätzchen, ich habe alles, was ich jemals wollte, erreicht und so soll es dir auch ergehen. Ich habe 3 wundervolle Töchter, hatte einen bezauberden Mann, der mich nach 40 Jahren Ehe immer noch glücklich machte, 7 Enkelkinder und ein Urenkelkind, das du mir geschenkt hast. Ich möchte nicht mehr, mein Kind. Dort oben ist etwas ganz Schönes und dort warten wundervolle Menschen, die auf mich aufpassen. Und ein ganz besonderer, auf den ich achten werde.“

Sie lächelte, strich mir über die Schulter und schaute zu einem Bild von unserem Sonnenschein, als er mit 3 Monaten bei ihr im Arm lag. 

Zwei Monate später, am ersten Todestag meines Sohnes, hatte ich dann einen ziemlichen Tiefpunkt. Ich wachte auf, sah das Datum auf meinem Handy Display und da ging es los. 100 mal spielte sich der Tag in meinem Kopf ab. Ich konnte nicht aufstehen, ich weinte nur noch, es war alles leer und ich fühlte mich wie gelähmt. Der Tag wirkte endlos. Ich ging zu Felix auf den Friedhof, saß vor seinem Grab und fühlte nichts. Doch gleichzeitig wusste ich, dass es weiter geht. Ich sagte mir immer wieder: Er ist stolz auf dich. Wo auch immer er gerade ist, geht es ihm gut und das Leben geht weiter.

Ich habe nur zwei Möglichkeiten: Aufgeben und alles weg werfen oder weiter kämpfen, nach vorne schauen und meinem Leben ein erneutes Ziel zu setzen. 

Am 15. Juli, seinem 3. Geburtstag, begann ich zu begreifen, dass er immer bei mir sein wird. Ich lies das Jahr Revue passieren und bemerkte: Wenn ich von ihm erzähle, dann so, als wäre er noch hier. Wieder lief ich auf den Friedhof, stellte ihm einen kleinen Traktor auf sein Grab und erzählte ihm, was alles passiert ist seit meinem letzten Besuch.

Am Abend gingen meine Familie (meine Eltern, mein Bruder und mein Lebensgefährte) und ich etwas essen und schwebten in Erinnerungen. Denn alles, was er uns hinterließ, kann man mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachten. Er war ein lebensfroher und aufgeschlossener Junge mit unendlich viel Quatsch im Kopf.

Ich sitze oft auf der Couch und fange einfach an zu lächeln, in diesen Momenten spielen sich die schönsten Erinnerungen ab. Ich sehe ihn wieder vor mir und habe seinen Geruch in der Nase, höre sein Lachen fühle einen kalten Schauer der mir den Rücken hinunter läuft. Und wieder weiß ich: Er ist hier und wird es immer sein.

 

 

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6 Kommentare

Joanna 28. Januar 2018 - 20:31

Ein so berührender und trauriger Text und gleichzeitig gibt er Menschen, die jemanden verloren haben irgendwie Frieden und Ruhe. Mir zumindest. Danke dafür.

Antworten
Helena 28. Januar 2018 - 18:51

Liebe Mathilda, danke Dir und viel Kraft.
Lg Helena

Antworten
Claudia 28. Januar 2018 - 13:25

Liebe Mathilda,
ich kenne dich erst seit ein paar Minuten durch diesen Text aber bin überwältigt und gerade unfassbar zu Tränen gerührt. Ich wünsche dir weiterhin viel Kraft und alles Gute…

Das Leben hält so viele Abenteuer für uns bereit und trotzdem Allem, haben wir unsere Erinnerungen für immer tief in unserem Herzen ♥️
Viele Grüße, Claudia

Antworten
Don-li 28. Januar 2018 - 12:03

Wunderschöner und Herzzerreissender Text. Die Tränen laufen mir nur so über die Wangen.
Du bist eine beeindruckend starke Frau.
Euer Felix wird immer bei euch sein

Antworten
Sandra Cyliax 28. Januar 2018 - 10:21

Liebe Mathilda,

deine Geschichte hat mich zu tiefst bewegt und sehr nachdenklich gestimmt.
Du bist stark und du wirst deinen Weg gehen.
Dein Sohn wird immer bei dir sein.Erinnerungen kann uns niemand nehmen.Ich wünsch dir eine glückliche Zukunft und dass sich deine Wünsche erfüllen.

Sandra

Antworten
Marina Shvlv 27. Januar 2018 - 18:40

Mathilda, Danke dir und viel Kraft. Lg Marina

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