Vorwort
Wie gefährlich eine Blutvergiftung sein kann, weiß ich, seitdem sie meinen Vater das Leben gekostet hat. Einige Tage nach einer komplizierten Whipple-OP im Rahmen seiner Bauchspeicheldrüsen-Krebs-Therapie fiel er ins Koma, weil im Bauchraum Wunden nicht heilten und gefährliche Bakterien in die Blutbahnen gerieten. In den Folgemonaten kämpfte er hauptsächlich gegen die Bakterien, anstatt gegen den Krebs, und verlor den Kampf nach einem Jahr. Zum Teil gegen den Krebs, zum anderen Teil gegen die Sepsis.
Als ich nach der Geburt von Lias von den Ärzten erfuhr, dass auch ich während der 35 Stunden, von denen ich mich an 8 nicht mehr erinnern kann und nur aus Erzählung meines Mannes weiß, wie es mir erging, eine Sepsis erlitten habe – wusste ich also genau, dass ich großes Glück gehabt hatte. Da ich schon sehr früh prophylaktisch ein Antibiotikum verabreicht bekommen hatte, da die Fruchtblase schon seit 24 geplatzt war und ich erste Symptome wie Fieber aufwies, konnte die Sepsis schnell behandelt werden. Aber was bis heute blieb, ist eine latente Angst vor einer Erkrankung, die immer und überall unerwartet kommen, sich leise und unbemerkt ausbreiten und am Ende tödlich sein kann.
Danke Theresa, dass du mit uns deine Geschichte teilst und zeigst, dass es gut ist, hartnäckig zu bleiben und Symptomen auf den Grund zu gehen, auch wenn jeder sagt, es werde schon alles gut.
Von Theresa Fuchs
Man hat es irgendwo schon einmal in irgendeiner Arztpraxis gelesen. An einer Blutvergiftung (lat. Sepsis) sterben jedes Jahr noch sehr viele Menschen. Selbst in den Industrieländern. Doch sind wir doch mal ehrlich; einen selbst wird das doch niemals treffen. Man passt ja auf, man geht doch zum Arzt, wenn etwas ist, man ist doch Krankenschwester (in meinem Fall) und wenn, dann hat man doch schon mal von dem Streifen gehört, der zum Herz geht, wenn es so weit wäre.
Vor einigen Wochen entwickelte mein Kleiner von einem Tag auf den anderen hohes Fieber – 39,5 und aufwärts. Nichts Ungewöhnliches bei Babys und Kleinkindern, wird sich jetzt so mancher denken. Doch für Gabriel war das doch ungewöhnlich, denn er hatte in seinem jetzt 22 Monate und ein paar Tage andauerndem Leben noch nie Fieber gehabt. Selbst bei den ersten Zähnen, welche er sehr spät erst bekam, zeigte er keinerlei Anzeichen für Fieber.
Jetzt war er schon seit ein paar Tagen verschnupft und er hustete ab und an. Die Nase läuft eben bei Kita- Kindern. Das Fieber war nach einem Tag wieder verschwunden. Nach vier Tagen trat es dann aber wieder auf und dieses mal ging ich zum Kinderarzt. Es war Freitag, wir wurden dazwischen geschoben. Die Ärztin hörte den Kleinen ab und meinte, dass der Hals sehr rot sei und er eigentlich Schmerzen haben müsste. Natürlich hatte ich bei meinem tapferen Indianer davon noch nichts bemerkt. Am Ende der 5 minütigen Untersuchung diagnostizierte sie eine „angehende Lungenentzündung“. Das würde man auch an seiner stoßweise gehenden Atmung bemerken und für das Fieber sprechen. „Wir werden um ein Antibiotikum nicht herumkommen“, sagte sie. Da war es also, das erste Antibiotikum im noch so jungen Leben meines Sohnes. Aber ich hatte Vertrauen in die Ärztin und ihre Fähigkeiten. Und es zeigte sich, dass das Fieber nach nur einem Tag sank und der kleine Mann natürlich wieder umher wirbelte, wie eh und je. Alles beim Alten und nach einer Woche Kita- Zwangspause durch die Antibiotikum Einnahme startete er wieder in der Kita durch.
Nach zwei Wochen Kita sind wir übers Wochenende in meine alte Heimat gefahren. Auf der Hinfahrt legten wir einen Zwischenstopp beim Pool der Schwiegermutter ein, da es doch sehr warm war (knapp 30°C). Gabriel hat die Fahrt über komplett in der Sonne gesessen, da er auf der Sonnenseite im Auto saß. Bei der Ankunft fühlte er sich schon sehr heiß an. Da ich, wie immer, sämtliche Utensilien mitgeschleppt hatte, konnte ich sofort auch Temperatur messen (39,6). Er bekam etwas gegen die sehr hohe Temperatur und machte Mittagsschlaf. Danach erschien er wieder wie ausgewechselt. Die Temperatur war weg und wir dachten, er hätte vielleicht einfach zu viel Sonne abbekommen. Gabriel spielte im Sandkasten und aß zum Abendessen ein paar Nudeln. Auf der Weiterfahrt schlief er sofort ein und angekommen am Ziel, zeigte sich, dass er sich wieder sehr heiß anfühlte.
Nach erneutem Messen: 40,5. So hoch wie noch nie. Nach Wadenwickeln und Medikamenten sank die Temperatur zur Nacht wieder. Doch am nächsten Morgen war sie wieder gestiegen. Es ging nicht anders, wir mussten zu einem „fremden“ Kinderarzt. Natürlich war Brückentag und der nächste Kinderarzt war mehr als 17 Kilometer entfernt. Nach kurzer Wartezeit diagnostizierte dieser anhand eines Abstrichs im Mund eine Mandelentzündung. Wieder Antibiotikum. Aber man macht ja alles, dass es seinem Kind gut geht. Die Temperatur veränderte sich nur unwesentlich und stagnierte zwischen 39,5 und 40,5.
Am nächsten Morgen hatte der kleine Mann fast schon zu niedrige Temperatur (35,6). Hey, wir sind auf einem guten Weg, das Antibiotikum schlägt an!
Wir saßen gerade beim Frühstückstisch und Gabriel saß wie immer in seinem Stuhl. Mir fiel auf, dass seine Lippen blau wirkten und auch seine Haut seltsam marmoriert aussah. Typische Fieberzeichen eben. Und Gabriel zitterte am ganzen Körper. Nach ca. 10 Minuten maß ich Temperatur (erneut 40,2). Irgendetwas stimmte doch mit ihm nicht! Blaue Lippen sind doch ein Zeichen für so viel Schlimmeres. Die Tante wurde angerufen, die Kinderkrankenschwester ist und diese riet uns, sofort noch einmal zu einem Arzt zu fahren. Da es Samstag war, mussten wir erneut sehen, welcher Arzt Notdienst hat. Es war der gleiche Arzt, wie am Vortag. Dieser war auch als Belegarzt auf einer pädiatrischen Station in einem Krankenhaus tätig. In dieses sind wir dann Samstag gegen 11 Uhr Mittags gefahren. Gabriel war zu diesem Zeitpunkt schon wieder fit, da das Fieberzäpfchen seine Wirkung zeigte. Fast schon „schämte“ ich mich, mit einem so fitten Kind als Notfall in eine Klinik zu fahren. Nach kurzer Wartezeit waren wir schon beim Arzt.
Gabriel bekam Blut abgenommen und einen Zugang gelegt. Und ehe wir uns versahen, waren wir plötzlich stationär aufgenommen. Von angehender Lungenentzündung, zu Erkältung, zu Fieber und schließlich zu einer starken Infektion. Wir bekamen ein Zimmer, Gabriel ein Bett und ich ein Klappbett.
Und da saßen wir nun. Gabriel am Tropf und wir zwei ratlos. Der kleine Mann an Schläuchen und Geräten, die immer wieder piepten. Ja ich wusste, was das alles bedeutet. Es ist ernst. Ja, ich wusste es. Aber an mich ran lassen konnte ich das alles nicht. Ich durfte mir weder vor meinem Kleinen, noch vor meinem Freund etwas anmerken lassen. In solchen Situationen bin ich stark, ich funktioniere. Doch innerlich hatte ich Angst wie noch nie.
Gegen Nachmittag kam der Arzt mit den Ergebnissen der Blutentnahme. Gabriel hätte eine sehr schwere Sepsis (Blutvergiftung), verursacht durch Streptokokken. Seine Blutwerte wären astronomisch hoch. Ab jetzt sei es ein Wettlauf gegen die Zeit, vor allem bei so kleinen Kindern. Und wieder wurde Blut abgenommen. Gabriel lag weiter in diesem Krankenhausbett, mit Sauerstoff und EKG- Schläuchen. Er war so unglaublich tapfer. Trotz hohem Fieber fand er immer wieder noch die Zeit zu lächeln.
Der Arzt schaute an diesem Tag vier mal nach uns. Als Krankenschwester weiß ich, dass das für ein Wochenende ungewöhnlich ist. Doch dies beruhigte mich nicht, es zeigte mir nur, wie ernst die Situation war.
Die erste Nacht im Krankenhaus war eine reine Katastrophe. Gabriel bekam wieder sehr hohes Fieber, dadurch stieg auch sein Puls an und es piepte ständig sehr laut aus allen Geräten. An Schlaf war nicht zu denken. Immer wieder kam die Nachtschwester, maß Fieber und die Sauerstoffsättigung und verabreichte Antibiotika über die Infusion. Mein kleiner Mann konnte in dieser Nacht erst zur Ruhe finden, als ich ihn schließlich in mein kleines Klappbett holte. Dort schlief er den Rest der Nacht. Wie das letzte Mal als wir zusammen im Krankenhaus lagen, direkt nach seiner Geburt.
Der nächste Tag, ein Sonntag. Das Fieber war über Nacht durch Infusionen und Medikamente gesunken. Gabriel durfte kurz aufstehen. Er hat voller Stolz seinen Infusionsständer selbst geschoben. Dieser Anblick brach mir fast das Herz. Wieder war er tapferer als ich. Oh du kleines Kerlchen, zum Glück weißt du nicht, wie es um dich steht. Doch schon bald verließen ihn die Kräfte, er bekam erneut blaue Lippe, zitterte und ich wusste, das Fieber war wieder da. Er schlief bis ca. 14:30 Uhr.
Danach wirkte er wie ausgewechselt. Er spielte in der Spielecke, rutschte und puzzelte. Konnte es denn wirklich schon besser sein? Meine Schwestern und Tanten kamen zu Besuch. Er war der kleine Chameur wie eh und je. Auch an diesem Tag sahen wir viele Ärzte und Schwestern. Gegen Abend wurde mein Kleiner wieder sehr anhänglich und ich merkte sofort, er hat wieder Fieber. Und es zeigte sich, dass ich recht hatte. Die Temperatur war erneut auf 40,2 angestiegen. Er bekam sofort wieder ein Fieberzäpfchen und hat die Nacht besser geschlafen. Wieder teilweise bei mir in unserem kleinen Klappbett, aber auch teilweise in seinem Bett.
Am nächsten Tag wachte er auf und sagte sofort „mjam, mjam“. Er wollte also was essen. Wahnsinn. Ab diesem Tag ging es stetig aufwärts und das Fieber kam nicht mehr zurück. Er wurde noch zwei Tage überwacht und es wurden mehrere Untersuchungen gemacht, aber er wurde tatsächlich wieder gesund. Eine Woche noch oral Antibiotika und alles wäre wieder vergessen.
Doch konnte ich das? Alles einfach so vergessen? Auf der Heimfahrt wurde mir erst bewusst, wie ernst diese ganze Geschichte war. Einen Tag später ins Krankenhaus und es wäre zu spät gewesen. Ich weiß, man soll nicht daran denken, aber kurzfristig kam mir dieser Gedanke. Jetzt bin ich noch dankbarer für das Leben, das uns geschenkt wurde, für meinen Sohn.
Soll dieser Bericht Angst machen? Nein, im Gegenteil, er soll vielleicht etwas aufklären und die Augen öffnen. Hört auf eure Mutterinstinkte, denn sie trügen euch nicht. Bei einer Sepsis zählt am Ende jede Minute. Lasst euch nicht abwimmeln, wenn ihr das Gefühl habt, es stimmt etwas nicht mit euren Kleinen. Dann stimmt auch etwas nicht.
Wir haben es überstanden, dem kleinen Mann geht es wieder so gut, wie vorher. Ich weiß, dass wir einen tollen Schutzengel hatten. Für mich beginnt jetzt nach der Zeit im Krankenhaus die Zeit des Verarbeitens. Das alles ist für mich noch nicht wirklich greifbar. Ich habe die Zeit im Krankenhaus wie in einer Blase verbracht. Jetzt, wo wir daheim sind und es alles gut ist, beginne ich zu realisieren. Ich spreche viel mit Freunden, auch mit Freunden, die Kinder haben. Irgendwie möchte ich aufklären, um anderen zu helfen, diese harte Zeit nicht zu erleben. Wie ich reagieren werde, wenn Gabriel wieder krank wird, weiß ich jetzt noch nicht. Aber wahrscheinlich werde ich wieder genauso handeln. Denn am Ende ist alles gut gegangen…
Nachtrag:
Mittlerweile war ich nochmal zur Blutabnahme bei unserer Ärztin und habe diese auf den Fall angesprochen. Ich gebe ihr auf keinen Fall die Schuld, denn ich weiß: Eine Sepsis kann immer und überall entstehen – auch bei einer Erkältung.
2 Kommentare
Ich selbst hatte nach der Geburt meines zweiten kindes eine Sepsis wegen Staphylococcen im Blut. Ich darf gar nicht darüber nachdenken, wie viel Glück ich hatte, dass sofort richtig reagiert wurde. Mir wurde ein Breitbandantibiotikum verabreicht – auf Verdacht. Verursacht wurde die Infektion durch den Venenzugang, von dem ich auch noch eine Venenthrombose im Arm mit nach Hause genommen habe. Ich lag nachgeburtlich 14 Tage im Krankenhaus. Habe 10 Tage intravenös Antibiotika bekommen und es wurde sogar ein Herzecho gemacht, um einen Befall der Herzklappen auszuschließen. Es war eine richtig schlimmer Zeit.
Toller Bericht! Ich bin Ärztin und bei sowas auch immer auf der Hut. Trotzdem kann so etwas so schnell gehen… ich bin froh, dass es Deinem Sohn wieder richtig gut geht! Liebe Grüße